Wie die schöne Scheherezade den wilden Sultan zähmte (2024)

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Wie die schöne Scheherezade den wilden Sultan zähmte
(aus 1001 Nacht)

Wie kam es zu diesen vielen schönen und abenteuerlichen Geschichten? Das istbereits eine Geschichte für sich. Wer sie aber nicht nur hören will, sondernauch richtig miterleben möchte, der muss nun dem Erzähler in höchstfremdartige Länder folgen. Er sollte alles vergessen, was heute umgibt. Denn erdarf nicht erwarten, dass die Menschen von Tausendundeiner Nacht genauso lebenund wohnen und sprechen oder dass sie etwa denken wie er.

Die Menschen im Morgenland, die sich vor Jahrhunderten diese Geschichten

immer wieder aufs neue erzählten, hatten ihre eigenen Gewohnheiten undSitten. Ein reicher Mann lebte damals im Überfluss, durfte auch viele Frauenheiraten und nicht nur eine. Wer aber arm geboren war, mochte noch so fleißigsein, er blieb sein ganzes Leben hindurch ein Habenichts. Nur in seinen Träumenund in diesen Geschichten konnte jedermann in goldenen Bergen des Reichtumswühlen. Darum wimmelt es in Tausendundeiner Nacht von märchenhaften Schätzenund gewaltigen Geistern, die einen über Nacht zum König machen. Und immerwieder sind es schwache und wehrlose Menschen, die es fertig bringen, alleindurch ihre Güte oder ihren Verstand einen übermächtigen Herrscher zubesiegen. Einer von diesen Menschen ist die schöne Scheherezade, der es ohnejeden Kampf gelang, den wilden Sultan Scheherban zu fesseln - nämlich mit ihrenspannenden Geschichten von Tausendundeiner Nacht:

Einst, vor schier undenkbar langen Zeiten, herrschte über die Inseln Indiensund Chinas der ebenso mächtige wie reiche Sultan Scheherban. Er galt als einrechter Mann, der aber sehr streng darauf achtete, dass seine Befehleeingehalten wurden. Seiner Frau hatte er die Todesstrafe angedroht für denFall, dass sie während seiner Abwesenheit ihre Zimmer verließ und mit anderenMännern sprach oder gar lachte.
Scheherban liebte seine Frau, wollte aber auch wissen, ob sie es wert war undseine Anweisungen getreu befolgte. Darum stellte er sie eines Tages auf dieProbe. Der Sultan tat so, als ob er auf die Jagd zöge. Auch sein jüngererBruder Schahseman, der König von Samarkand in Persien war und ihn in dieserZeit besuchte, ritt mit zum Tor hinaus. Bald aber kehrten beide heimlich zurückin den Palast. Von einem versteckten Fenster aus musste Scheherban mit eigenenAugen sehen, was die Sultanin nun während seiner Abwesenheit tat: Achtlos hattesie ihr Zimmer verlassen. Sie vergnügte sich mit ihren Dienerinnen und Gästenim Garten des Palastes und lachte dabei, dass es dem Sultan wie Messer ins Herzschnitt.

Noch am selben Tag machte er seine furchtbare Drohung wahr. Er ließ dieungehorsame Sultanin köpfen und schwor sich, er wolle künftig nie mehr an dieEhrlichkeit und Treue irgendeiner Frau glauben. Der Großwesir erhielt daraufden Auftrag, ihm täglich ein schönes Mädchen aus einer vornehmen Familie desLandes in den Palast zu bringen, damit es seine Frau werden solle. Doch schon amnächsten Morgen nach ihrer Hochzeit wurde dann die Unglückliche wie die ersteSultanin hingerichtet. Auf diese grausame Weise wollte Scheherban erreichen,dass ihn keine Frau jemals wieder hintergehen könnte.

Schon Monate währte dieses sinnlose Morden. Angst und Schrecken erfülltendas Land, denn Hunderte von schönen Mädchen hatten bereits ihr junges Lebenverloren. Aber niemand traute sich zu, den wilden Sultan zur Mäßigung zubringen oder ihn gar zu zähmen.

Nun hatte der Großwesir zwei Töchter, die Scheherezade und Dinarzadehießen. Besonders Scheherezade, die ältere, stand seinem Herzen nah, denn siewar nicht nur außerordentlich schön, sondern auch ungewöhnlich klug undredegewandt, weil sie viele Bücher las. Eines Tages sagte sie zu ihrem Vater:

»Würdest du deiner Tochter auch eine große Bitte erfüllen?«

»Was in meiner Macht liegt, tue ich gern für dich«, antwortete derGroßwesir. »Ich erfülle dir jeden Wunsch, wenn er nicht unvernünftig ist.«

Da sagte Scheherezade: »Der Grausamkeit des Sultans muss endlich Einhaltgeboten werden. Bitte sorge dafür, dass ich ihn heiraten darf.«

»Was fällt dir ein « rief der Großwesir entsetzt. »Du weißt doch, dassder Sultan jede Frau am Morgen nach der Hochzeit umbringen lässt.«

»Eben weil ich es weiß, darum trage ich dir meine große Bitte vor«, sagteScheherezade. »Vielleicht gelingt es mir, Scheherban von seinerUnmenschlichkeit zu heilen. Doch wenn ich es nicht kann, möchte ich liebersterben, als dieses grausame Spiel noch länger mit anzusehen.«

Mit allen Mitteln der Überredung versuchte der Großwesir seine Tochter vonihrem Vorhaben abzubringen, schließlich gab er nach und sagte: »So muss ichalso dafür sorgen, dass du in dein Verderben ziehst. Ich werde unserem HerrnDeinen Wunsch melden, mach du dich inzwischen bereit.«

Sultan Scheherban seinen Großwesir angehört hatte, fragte er verwundert:"Ausgerechnet du willst mir die liebste deiner Töchter opfern? Erwartestdu dass ich bei ihr eine Ausnahme mache? Großwesir, morgen früh werde dir denBefehl geben, Scheherezade töten zu lassen wie ihre Vorgängerinnen. Doch wenndu dann zögerst, geht es dir selbst an den Hals.«
"Herr", antwortete der Wesir, »so schwer es mir fällt, ich binbereit, dir wie zu gehorchen.« Dann ging er fort, um seine Tochter zu holen.
Ehe Scheherezade das Elternhaus verließ, zog sie aber noch die Schwesterbeiseite und flüsterte ihr zu: »Dinarzade, ich gehe jetzt zum Sultan, um seineFrau zu werden. Heute abend will ich ihn jedoch bitten, dass er dich kommenlässt, damit ich noch eine Nacht meines Lebens in deiner Gesellschaftverbringen kann. Wenn du dann bei mir bist, so schlage mir vor, ich solle dirzum Zeitvertreib eine von meinen Geschichten erzählen. Alles Weitere wirst duschon sehen. Ich hoffe nämlich, mit meiner List den wilden Sultan zu zähmen.«

Mit diesem Plan im Herzen erschien Scheherezade vor dem Sultan. Er freutesich über ihre Schönheit, empfing sie sehr freundlich, führte sie in denPrunksaal und gab das Zeichen für den Beginn ihres Festes. Nach einiger Zeitbegann Scheherezade bitterlich zu weinen. Scheherban fragte sie nach dem Grundihres Kummers und hörte: »Herr, ich denke an meine jüngere Schwester, die ichsehr habe. Leider konnte ich mich heute von ihr nicht verabschieden und möchtegern noch ein einziges Mal sehen.«

Sogleich ordnete der Sultan an, dass auch die zweite Tochter des Großwesirsin seinem Palast willkommen sei. Und kaum war Dinarzade dort eingetroffen,zeigte Scheherezade plötzlich ein heiteres Gesicht. Als dann die Nachthereinbrach, saß die Schwester zu ihren Füßen und sagte: »Liebe Scheherezade,erzähle mir doch eine von deinen schönen Geschichten, damit uns die Zeit biszum Morgen besser vergeht.«

Scheherezade fragte darauf den Sultan, ob er etwas dagegen hätte. Scheherban

war einverstanden und blieb bei den Schwestern, um zuzuhören. Nun begannScheherezade mit einer sehr langen Geschichte, die aber auch sehr mitreißendund sehr spannend war. Der Sultan merkte nicht, wie die Stunden verstrichen. Alsdie Erzählerin erst etwa in der Mitte ihres abenteuerlichen Berichtes war,dämmerte schon der Morgen. Da unterbrach sich Scheherezade und sagte:"Jetzt folgt eigentlich der schönste und spannendste Teil. Wenn meingnädiger Herr es also gestattet, will ich die Erzählung dann in der nächstenNacht beenden.“ Scheherban war viel zu neugierig auf die Fortsetzung. Erbeschloss, die Hinrichtung um einen Tag zu verschieben, und gab Scheherezade dieErlaubnis, am Abend fortzufahren.
Der Großwesir hatte diesen Morgen mit Schrecken erwartet, doch er bekam keineAnweisung, das Todesurteil an seiner Tochter vollstrecken zu lassen. Als er dannsah, wie der Sultan nur heiter seinen Regierungsgeschäften nachging, fasste derWesir Mut. Scheherban aber konnte den Abend kaum erwarten. Als er seinSchlafzimmer betrat, saßen dort schon die beiden Schwestern, und Scheherezadebegann sofort ihre unterbrochene Geschichte weiterzuerzählen.

Mitten in der Nacht war sie dann zum guten Ende ihrer Erzählung gekommen,doch Dinarzade sagte nun rasch: »Schwester, ich möchte noch eine Geschichte.hören ehe es Morgen wird.« Der Sultan hatte den gleichen Wunsch, den ihmScheherezade nur zu gern erfüllte. Sie wusste es aber so einzurichten, dassgenau im spannendsten Moment die Sonne des neuen Morgens aufging. Der Sultanwollte natürlich unbedingt erfahren, wie es weiterging, und musste sich nun vonder klugen Scheherezade bis zum kommenden Abend vertrösten lassen. Durch dieseList erreichte die Tochter des Großwesirs, dass Scheherban ihre Hinrichtung vonTag zu Tag und von Woche zu Woche verschob. Jeden Abend wusste sie etwasSchöneres zu erzählen, begann immer neue Geschichten, aber stets so geschickt,dass beim Morgengrauen das Ende der Handlung noch längst nicht zu erkennen war.

So vertrieb sie tausendundeine Nacht hindurch mit ihrer Schwester dem Sultandie Zeit. Als sie dann auch die letzte ihrer Geschichten erzählt hatte, warfsich Scheherezade dem Sultan zu Füßen und sagte: »Mein Herr und Gebieter,jetzt habe ich dir alle Geschichten erzählt, die ich kenne, und ich merke diran, dass sie dir gefallen haben. Nun bitte ich dich, schenke mir zum Lohn fürdieses Vergnügen mein Leben.«

Scheherban hatten die Erzählungen längst von seiner wilden Verbitterunggeheilt. Er liebte dieses schöne Mädchen und glaubte wieder an das reine Herzeiner Frau. Mit seinen Händen zog er Scheherezade zu sich empor und sagte:

»Dich hat Allah zu mir geschickt, um mich von meinem Wahn zu befreien. Dusollst meine Frau sein und noch lange mit mir in Glück und Freuden leben.«

Darauf beschenkte der Sultan den glücklichen Großwesir, der ihm seineTochter fast geopfert hätte. Dann schickte er eine Nachricht zu seinem BruderSchahseman und bot ihm darin Dinarzade als Frau an, die ebenso schön und fastso klug wie ihre Schwester war. Von seinem fernen Reich Samarkand in Persien kamSultan Schahseman so schnell wie möglich herbei. Das prächtige Hochzeitsfestder beiden Brüder mit den schönen Töchtern des Großwesirs wurde noch langeZeit von den Dichtern besungen. Viele Tage lang jubelte Scheherbans Volk, weildie Zeit des Schreckens endlich vorbei war. Die schönsten und abenteuerlichstenGeschichten, die Scheherezade dem Sultan erzählt hat, wurden für alle Zeitenund alle Menschen in den Märchen von Tausendundeiner Nacht festgehalten.

Wie die schöne Scheherezade den wilden Sultan zähmte (2024)
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Author: Saturnina Altenwerth DVM

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